Vor einem Jahr haben die European IT Consultancy EITCO GmbH aus Berlin und die in Taucha ansässige procilon GROUP über ein erstes gemeinsames Projekt zum elektronischen Rechtsverkehr (ERV) berichtet. Fragen zum aktuellen Stand und den Perspektiven der Zusammenarbeit beantwortet Jens Lehmann, Geschäftsführer der EITCO GmbH in einem Interview:
F: Vor fast genau einem Jahr haben wir die Öffentlichkeit über die ersten gemeinsamen Erfolge informiert. Wie stellt sich denn der aktuelle Stand dar? Oder mit anderen Worten, hat sich die Lösung als alltagstauglich erwiesen?
Jens Lehmann: Nun, irgendwo habe ich bei procilon die Formulierung ‚elektronische Rechtsverkehr so einfach wie E-Mail‘ gelesen. Das stimmt prinzipiell auch, aber ich will sogar noch einen Schritt weiter gehen. Wir reden konkret über das Projekt bei der BGHW. Dort haben wir bekanntlich die procilon-Technologie in das Dokumentenmanagementsystem SIGUV DMS integriert. Das bedeutet also eine vollständige Nutzbarkeit des ERV in der vorhandenen Arbeitsumgebung. Man braucht nicht mal zum E-Mail-System zu wechseln, sondern hat alle Daten an der Stelle, an der sie sowieso bearbeitet werden müssen. Sie können sich vorstellen, dass dadurch die Akzeptanz bei den Sachbearbeitern sehr gut ist. Die haben uns dann auch auf eine neue Idee gebracht. Wenn solche Anregungen aus einem Projekt, welches noch relativ neu ist, kommen, dann hat man als Dienstleister sicher keine schlechte Arbeit geleistet. Diesen Eindruck haben wir auch vom Teil, den procilon beigetragen hat. Gerade bei Partnerschaften zeigt sich in den ersten gemeinsamen Projekten, wir gut die Zusammenarbeit funktioniert.
F: Oh, danke! Aber Sie sprachen von einer neuen Idee. Was genau verbirgt sich dahinter?
JL: Eigentlich ist das naheliegend, aber manchmal braucht man noch einen Impuls von außen. Bekanntlich können seit 2018 öffentliche Einrichtungen sichere Übertragungswege zur Justiz über das besondere elektronische Behördenpostfach (beBPo) nutzen. Das war bei einigen unserer Kunden auch die primäre Aufgabenstellung. Im Lauf der Zeit hat sich aber das zugehörige Verzeichnis ‚SAFE‘ mit erreichbaren Adressen immer weiter gefüllt, da sich viele Behörden ein beBPo zugelegt haben. Es drängte sich für unsere Kunden die Frage auf, wenn ich eine andere Verwaltung oder Behörde mit einem beBPo im SAFE-Verzeichnis finde, dann kann ich doch auch dieser sicher und verlässlich elektronische Post zukommen lassen? Das geht dann über die ursprüngliche Motivation des digitalisierten Dokumentenaustauschs mit der Justiz weit hinaus, liegt aber offen auf der Hand. Wir haben uns dann noch einmal die Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs gemeinsam mit procilon angesehen und unsere Schlüsse gezogen.
F: Wollen Sie uns daran teilhaben lassen?
JL: Das interessante an der ERV-Gesetzgebung ist die prinzipielle Offenheit und die dahinterliegenden Grundelemente. Zum einen wurde mit dem föderalen Ansatz des implementierten Verzeichnisdienstes SAFE eine Struktur gewählt, die es einer Vielzahl von Teilnehmern ermöglicht die vorhandene sichere Infrastruktur mit validierten elektronischen Identitäten zu nutzen. Wir glauben, dass dieses Potential noch lange nicht ausgeschöpft wird.
F: Nun dieses Potential sehen wir primär in der öffentlichen Verwaltung. Sehen Sie Ansätze, die darüber hinaus gehen?
JL: Einige und als Beispiel möchte ich das Gesundheitswesen anführen. Hier wird das grundlegende Dilemma bei allen Formen der digitalen Transformation besonders deutlich. Dieses Dilemma entsteht aus den gegensätzlichen Ansprüchen einer nutzerfreundlichen Anwendbarkeit und einer möglichst großen Informationssicherheit. Im Gesundheitswesen kommen noch einige Faktoren hinzu, die verstärkend wirken. So existiert eine Vielzahl gesetzlicher Anforderungen, die über den üblichen Standard hinausgehen und Verwaltungs-IT-Systeme der Kammern, bei medizinischen Diensten, Dienstleistern oder Kranken- und Sozialversicherungen stellen ein potenzielles Angriffsziel für Cyber-Kriminelle dar. Letztendlich ist die Zahl der Kommunikationsverbindungen kaum zu überblicken.
Wenn in einem solchen Dickicht der Nutzer auf einen einfachen nutzbaren und dazu noch rechtskonformen Kommunikationsweg zurückgreifen kann, ist das optimal. Damit kann in diesem komplexen Umfeld tatsächlich ein Effizienzgewinn durch digitale Transformation erzielt werden, ohne die sensiblen Daten zu gefährden.
F: Das klingt erst einmal sehr generisch. Haben Sie vielleicht ein konkretes Beispiel für unsere Leser?
JL: Im Gesundheitswesen gibt es eine Reihe von Institutionen, die formal die Anforderungen zur Nutzung eines Behördenpostfachs erfüllen. De facto sind das zum einen Behörden aber auch Krankenhäuser, Kliniken, Gemeinschaftspraxen und Sozialversicherer. Wenn diese aber u. U. gar keine Justizkommunikation haben, ist das Thema auf den ersten Blick für diese nicht interessant. Auf den zweiten eröffnen sich, anhand des eingangs geschilderten Szenarios, eine Reihe vielfältiger Einsatzmöglichkeiten. So könnten z.B. ärztliche Gutachter im Rahmen der Begutachtung von Arbeitsunfällen mit dem Unfallversicherungsträger über das Behördenpostfach einfach und datenschutzkonform Unterlagen im Rahmen der Begutachtung wie Erstbefundung, Unfallhergang, Vorerkrankungen etc. austauschen. Wie das für den einzelnen Anwender am einfachsten geht, haben wir mit dem SIGUV DMS als Blaupause vorliegen.
Herr Lehmann, vielen Dank für die inspirierende Beantwortung der Fragen!
Die Fragen stellte Andreas Liefeith, Marketingleiter der procilon GROUP
Die Lösungen von EITCO und procilon können im März in Berlin beim Netzwerktreffen ‚Digitaler Staat 2020‘ in Augenschein genommen werden. Beide Unternehmen sind vom 02. bis 04. April im ‚Kosmos‘ Berlin mit einem Messestand vertreten.
Mehr Infos dazu unter procilon.de/aktuelles/veranstaltungen und eitco.de/aktuelles/veranstaltungen
Weitere Informationen zur procilon GROUP sind im Lösungskatalog verfügbar.